Der Friedhof am Kanalweg macht seinem Namen alle Ehre, denn er liegt direkt neben selbigem. Andererseits wird man sich in Delft schwer tun, irgendeinen Ort zu finden, der nicht neben, an, über oder irgendwie in Relation zu einem Kanal liegt.
Delft ist eine mittelgroße niederländsiche Stadt zwischen Rotterdam und Den Haag und birgt die letzte Ruhestätte von Wilhelm von Oranien, dem Stammvater des niederländischen Königshauses. Das Städtchen ist berühmt für sein außergewöhnlich schönes historistisches Stadtbild, als Heimat und häufiges Motiv des Malers Johannes Vermeer und einer Technische Universität mit langer Tradition. Grachten und Kanäle sind hier wirklich keine Mangelware und finden sich in der Nähe aller vier Friedhöfen der Stadt. Der offizielle Wikipedia-Artikel spricht sogar von fünf Friedhöfen, weil er die Grablege des niederländischen Königshauses in der Nieuwe Kerk mitzählt, in der fast alle Mitglieder des Hauses Oranien-Nassau seit dem 17. Jahrhundert beigesetzt wurden. Diese Grabstätte ist der Öffentlichkeit jedoch nicht zugänglich, es existieren nicht einmal öffentliche Fotografien von ihrem Inneren.
Anders als in Deutschland üblich werden alle Friedhöfe hier von der Gemeinde Delft verwaltet, einige sind konfessionell gebunden und andere nicht.
Von 1929 bis 1969 wurden Gräber auf diesem Friedhof durch die Gemeinde vergeben, seitdem sind Neubestattungen nur noch in bestehenden Famliengrabstätten möglich. Der Ursprung dieses Geländes als Friedhof geht jedoch bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück. Der Friedhof ist katholisch.
Der Areal ist mit gut einem halben Hektar nicht besonders groß und präsentiert sich dem Besucher heute ganz anders als es ursprünglich einmal angelegt war. An vielen Stellen erkennt man, dass niedrige Büsche und kleine Zierbäume mittlerweile zu riesigen Hecken und Bäumen herangewachsen sind und sich zu einem verwinkelten und etwas unordentlichen Gesamteindruck zusammenfügen. Die Wege zu einzelnen Grabfeldern sind teils komplett zugewachsenen, viele Gräber aufgrund der ursprünglich sicher zierlich angelegten Bepflanzung heute überhaupt nicht mehr auszumachen.
Trotzdem erkennt man die wohl prägnanteste Eigenart vieler Friedhöfe dieser Gegend: Die vergleichsweise dünnen und zierlich gearbeiteten Grabsteine, die eher an eine aufrecht stehende Platte als einen wirklichen Stein erinnern. Fast immer ist ein Kreuz eingearbeitet oder aufgesetzt. Sehr viele Gräber sind auch gänzlich ohne ein stehendes Grabmal gearbeitet und werden von einer steinernen Platte bedeckt. Die Inschriften sind oft zu verwittert und bewachsen, um sie noch zu erkennen. Nur gelegentlich finden sich auffällig andersartige Gräber, die mit einem Bildnis der Verstorbenen oder zusätzlicher religiöser Symbolik verziert sind und von der üblichen Form abweichen.
Das Zentrum des Friedhofs entdeckt der Besucher nicht sofort, da hohe Bäume teilweise die Sicht verdecken. Dann ist der Anblick aber umso eindrucksvoller. Am Kopf einer steinernen Grabplatte, die den Verstorbenen als Pfarrer der örtlichen katholischen Gemeinde ausweist, steht deutlich erhöht ein riesiges Kreuz mit Jesus aus Holz. Mit der Zeit wurde die gesamte Figur von Ranken umwachsen, die irgendwann ihre Blätter abgeworfen haben. Zurück blieb eine verwitterte Jesusfigur, komplett bedeckt von totem Gestrüpp. Oft schaffen Friedhöfe es einen ruhigen und beständigen Eindruck zu machen und sehen entgegen der landläufig vorherrschenden Meinung nicht sehr morbide aus. Diese von der Natur vereinnahmte Jesusdarstellung findet wohl aber auch der versierte Friedhofsbesucher unweigerlich etwas schaurig.
Auf meinem Gang über den Friedhof sind mir keine weiteren Menschen begegnet, jedoch kennt vermutlich fast jeder Friedhof auch andere (nicht menschliche) Besucher.
Auch auf diesem Friedhof überrascht mich wieder ein Effekt, über den die meisten Fachbetriebe für die Herstellung von Grabmalen wohl nur müde lächeln können: Kein Stein (und schon gar kein Grabstein) ist sicher vor den Kräften des Wetters, der Witterung und dem sprichwörtlichen Zahn der Zeit. Gebrochene Grabplatten und sogar komplett abgebrochene Grabsteine sind ein häufiger Anblick. Ich habe den sehr subjektiven Eindruck, dass einem derartiges auf deutschen Friedhöfen weniger oft begegnet, weil die Friedhofsverwaltungen den Eigentümer mit hoher Rigorosität auffordern, die Grabstätte in Ordnung zu halten, weil diese häufig laut örtlicher Friedhofssatzung sonst “abgeräumt” (vollständig entfernt) wird.
Wer sich für die Gräber oder die dort Bestatteten näher interessiert, dem sei diese niederländische Internet-Datenbank empfohlen. Vorrangig dient sie der Ahnen- und Famlienforschung – hier sind fast alle Gräber sowie die Namen der Bestatteten mit Sterbedaten online erfasst und durchsuchbar. Auf der Seite finden sich auch übersichtliche Informationen zu anderen niederländischen Friedhöfen.
Begraafplaats Kanaalweg, Kanalweg 2, 2628 EB Delft, Niederlande. Der Friedhof ist nicht mehr für Begräbnisse geöffnet (Bestattungen auf bereits erworbenen Grabstätten möglich). Geöffnet täglich von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang.